Ist Muskelaufbau ohne Kalorienüberschuss möglich? (4 Fakten)

faktengeprüft

Ist Muskelaufbau ohne Kalorienüberschuss möglich

Es hält sich noch immer hartnäckig der Mythos, dass Muskelaufbau nur bei einem Kalorienüberschuss möglich sei.

Allerdings haben zahlreiche wissenschaftliche Studien in der Praxis nachgewiesen, dass dies ein Irrglaube ist.

Die allermeisten Menschen können definitiv auch ohne einen Kalorienüberschuss Muskeln aufbauen – insbesondere Anfänger und Menschen mit einem hohen Körperfettanteil. 

Gleichzeitig zeigen Studien jedoch ebenfalls, dass ein Kalorienüberschuss förderlich für den Muskelaufbau ist. 

Unter welchen Bedingungen ein Kalorienüberschuss für erfolgreichen Muskelaufbau notwendig oder empfehlenswert ist, erfährst du jetzt.

1. Ist ein Kalorienüberschuss wirklich erforderlich für Muskelaufbau?

Nein. Um Muskeln aufzubauen, ist ein Kalorienüberschuss so gut wie nie zwingend notwendig – bis auf wenige Ausnahmen (mehr dazu weiter unten).

Tatsächlich ist nämlich zweifelsfrei belegt, dass Hypertrophie (Muskelwachstum) in einem Kaloriengleichgewicht und sogar in einem Kaloriendefizit möglich ist (mehr dazu hier). 

Insbesondere bei Anfängern und Menschen mit einem relativ hohen Körperfettanteil ist Muskelwachstum in einem Kaloriendefizit definitiv möglich.

Tatsächlich sollten übergewichtige Menschen sich anfangs sogar in ein Kaloriendefizit begeben, wenn sie gezielt Muskeln aufbauen wollen (warum das so ist, haben wir in diesem Artikel erklärt).

Sogar bei trainierten Menschen mit einem bereits relativ geringen Körperfettanteil ist Muskelaufbau im Kaloriendefizit möglich, wenn auch in deutlich geringerem Umfang.

Beachte außerdem, dass es nicht nur entweder Kalorienüberschuss oder Kaloriendefizit gibt:

Auch eine Ernährung in deinem individuellen Kaloriengleichgewicht ist eine Option und stellt laut Forschungsergebnissen eine Art Mittelweg dar.

2. Warum ist Muskelaufbau mit einem Kalorienüberschuss effektiver?

Obwohl Muskelwachstum bei gleichzeitigem Kaloriendefizit zwar möglich ist, heißt das keineswegs, dass dieses Vorgehen ideal ist.

Denn zahlreiche Studien zeigen, dass Muskelaufbau schneller und in größerem Umfang stattfindet, wenn du dich in einem Kalorienüberschuss befindest (Studie, Studie).

Der Grund: beim Muskelaufbau handelt es sich um einen sogenannten anabolen Prozess des Stoffwechsels.

Beim Anabolismus werden aus einfachen, energiearmen Bausteinen komplexe Moleküle hergestellt – dieser Prozess erfordert Energie.

Um also aus einfachen Aminosäuren (aus der Nahrung) komplexe Proteine der Muskeln zu synthetisieren, wird Energie eingesetzt. 

Im Gegensatz dazu werden bei katabolen Prozessen komplexe Moleküle in energiearme, einfache Bausteine heruntergebrochen, wobei Energie freigesetzt wird.

Wenn der Körper sich also in einem Energiedefizit befindet, schaltet der Stoffwechsel in den Katabolismus, um Energie zu gewinnen (Studie).

Dann werden die zuvor in anabolen Phasen aufgebauten komplexen, energiereichen Moleküle wieder in ihre Bestandteile zerlegt, um die in ihnen enthaltene Energie freizusetzen.

Wie du siehst, ist der Energiehaushalt des Körpers also entscheidend dafür, ob er grundsätzlich im anabolen oder katabolen Modus operiert – beides gleichzeitig ist praktisch nicht möglich.

Weil anabole Prozesse wie Muskelaufbau stets energieintensiv sind, sind sie für den Körper ”teuer“.

Sie werden deshalb bevorzugt nur dann durchgeführt, wenn er es “sich leisten kann” – sprich: genügend Energie zur Verfügung steht.

Letztendlich ist dies ein Überlebensmechanismus des Körpers:

Wenn er sich in einem akuten Energie-Notstand befindet, fährt er energieintensive anabole Prozesse herunter und verlagert die Priorität auf katabole Prozesse, um seinen Energiebedarf zu decken.

3. Warum ist Muskelaufbau auch ohne Kalorienüberschuss möglich?

Wie im vorigen Abschnitt gesehen, ist Muskelaufbau ein anaboler Prozess und erfordert Energie – wie ist Muskelaufbau also ohne einen Kalorienüberschuss überhaupt möglich?

Die Antwort darauf liefern die Gesetze der Physik, speziell der erste Hauptsatz der Thermodynamik: Das Gesetz der Energieerhaltung.

Vereinfacht gesagt kann Energie weder verschwinden noch neu entstehen, sondern lediglich umgewandelt werden. 

Wenn du dich in einem Kalorienüberschuss befindest, erhöhen sich deshalb entsprechend der Naturgesetze zwangsläufig die Netto-Energiespeicher deines Körpers, während sie sich bei einem Kaloriendefizit verringern müssen.

Allerdings sind sowohl Muskelgewebe als auch Fettmasse Netto-Energiespeicher – wenngleich Fett wesentlich mehr Energie als Muskeln enthält (Muskeln bestehen zu ca. 75% aus Wasser). 

Es ist deshalb möglich, dass du während einer Diät 1 kg Fettmasse im Wert von 7.700 kcal reduzierst, gleichzeitig aber 1 kg neue Muskelmasse (ca. 1.800 kcal) aufbaust.

In diesem Beispiel befindest du dich trotz neu aufgebauter Muskelmasse in Summe in einem Defizit von -7.600 kcal, weshalb das Gesetz der Thermodynamik nicht verletzt wurde: das Kaloriendefizit führt zwangsläufig zu einer Reduktion der Netto-Energiespeicher.

Du hast durch intensives Krafttraining lediglich beeinflusst, wie sich die Energiebilanz zwischen Muskel- oder Fettmasse verteilt (sprich: aus welchen Speichern die benötigte Energie kommt).

Damit der Körper während einer Diät nicht vom anabolen (aufbauenden) in den katabolen (abbauenden) Stoffwechsel-Modus wechselt, ist also nicht die tägliche Energieaufnahme entscheidend, sondern die verfügbare Energiereserve des Körpers.

Das wird durch zahlreiche Studien gestützt, bei denen insbesondere bei übergewichtigen Menschen trotz täglichen Kaloriendefizits teils erhebliches Muskelwachstum beobachtet werden konnte.

Schlussfolgerung: Die in den Fettreserven gespeicherte Energie stellt dem Körper trotz reduzierter Kalorienaufnahme ausreichend Energie zur Verfügung, um anabole Prozesse wie Muskelaufbau durchzuführen.

Diese Tatsache wird weiterhin dadurch belegt, dass im Umkehrschluss untersuchte Probanden mit einem bereits geringen Körperfettanteil deutlich weniger Muskeln während eines Energiedefizit aufbauen konnten (mehr dazu hier).

Schließlich wurde beobachtet, dass bei bereits sehr gut trainierten Athleten mit minimalem Körperfettanteil der Muskelaufbau während eines Kaloriendefizits sogar ganz zum Erliegen kommen kann.

All dies zeigt also, dass der gesamte Energievorrat (insbesondere gespeichertes Fett) für den Erfolg beim Muskelaufbau während eines Kaloriendefizits entscheidend ist.

4. Wie hoch sollte mein Kalorienüberschuss sein?

Wie hoch der Kalorienüberschuss für optimales Muskelwachstum konkret sein sollte, lässt sich nicht seriös pauschal beantworten.

Oftmals werden zwar konkrete Zahlen wie etwa “500 Kalorien mehr pro Tag” oder dergleichen als Empfehlungen verbreitet.

Viele Studien erkennen jedoch an, dass zur optimalen Höhe des Kalorienüberschusses noch viel unbekannt ist und weiterer Forschungsbedarf besteht.

Zudem ist ein Überschuss von 500 kcal oder mehr pro Tag in so gut wie jedem Fall wesentlich mehr als genug – mit eventuell unerwünschten Nebeneffekten.

Denn ein Kalorienüberschuss (bei richtigem Training und Ernährung) ist zwar die Grundlage für maximales Muskelwachstum.

Allerdings solltest du dir ebenfalls klar darüber sein, dass ein Kalorienüberschuss auch stets mit einer Zunahme an Fettmasse einhergeht.

Schließlich ist genau das der Grund dafür, dass Bodybuilder zyklisch zwischen den Phasen von Massenzunahme (engl. “Bulking” – mehr dazu hier) und Fettreduzierung (“cutting”) rotieren.

Wie schnell du beim Muskelaufbau zunehmen solltest, um übermäßigen Fettaufbau zu vermeiden, haben wir deshalb ausführlich in diesem Artikel erklärt.

Eine wichtige Frage für dich ist also: Inwieweit ist es für dich akzeptabel, neben Muskelmasse zusätzlich Körperfett aufzubauen?

Wie du dir vorstellen kannst, hängt die Antwort auf diese Frage stark davon ab, wie deine Ausgangssituation aussieht.

Für sehr schlanke Menschen mit wenig Muskelmasse mag die Zunahme von etwas Körperfett vollkommen in Ordnung und akzeptabel sein, um maximal Muskeln aufzubauen.

Andererseits mag jemand, der ohnehin bereits einen hohen Körperfettanteil hat, diese Frage völlig anders für sich beantworten.

Wie hoch sollte der Kalorienüberschuss in deinem konkreten Fall nun also sein?

Die folgenden Hinweise können dir eine Orientierung dafür geben, wie hoch du deinen Kalorienüberschuss gestalten solltest:

Anfänger können von größerem Kalorienüberschuss profitieren

Untrainierte Menschen mit relativ wenig Muskelmasse haben ein wesentlich größeres Potential für schnellen Muskelaufbau als bereits sehr gut trainierte Menschen nahe ihres genetischen Maximums (mehr dazu hier).

Aus diesem Grund können Erstere von einem höheren Kalorienüberschuss profitieren als Letztere, weil sie den Energieüberschuss vermehrt für das Muskelwachstum verwenden können.

Bei einem gleich großen Kalorienüberschuss nehmen zwar sowohl Untrainierte als auch Trainierte an Muskel- und auch Fettmasse zu – allerdings ist der Anteil des Muskelzuwachses bei Untrainierten größer.

Fazit: Anfänger und Menschen mit wenig Muskelmasse können von einem etwas höheren Kalorienüberschuss profitieren, weil sie ihn relativ gut in Muskelwachstum umsetzen können.

Fortgeschrittene benötigen geringeren Kalorienüberschuss

Je weiter dein Trainingszustand fortschreitet und deine vorhandene Muskelmasse zunimmt, desto geringer fällt das Potential für zukünftiges Muskelwachstum aus – du kannst also weniger Muskelmasse pro Zeiteinheit aufbauen.

Deshalb würden besonders hohe Kalorienüberschüsse bei fortschreitendem Trainingszustand statt in Muskelmasse verstärkt in Fett umgesetzt werden, was in den meisten Fällen anschließend wieder aufwändig reduziert werden muss (cutting).

Darum ist es in den meisten Fällen ratsam, übermäßigen Fett-Aufbau während der bulking-Phase (mehr dazu hier) zu vermeiden, indem du in einem eher geringen Kalorienüberschuss bleibst.

Einige Forschungsergebnisse legen nahe, dass dieser tägliche Kalorienüberschuss weit geringer sein könnte, als viele glauben.

Übergewichtige profitieren von Kaloriendefizit

Außerdem sollte stets dein derzeitiger Körperfettanteil beachtet werden.

Wenn du derzeit einen geringen Körperfettanteil hast, wirst du wahrscheinlich mit etwas Zunahme von Körperfett bei maximalem Muskelwachstum einverstanden sein und deshalb von einem etwas höheren Kalorienüberschuss profitieren.

Falls dein Körperfettanteil jedoch bereits hoch ist, solltest du weiteren Fett-Aufbau vermeiden und zunächst die Reduktion von überschüssigem Körperfett priorisieren (mehr dazu hier).

Hinzu kommt die Tatsache, dass insbesondere bei einem hohen Körperfettanteil Muskelaufbau ohnehin auch im Erhaltungs-Kalorienbedarf und sogar im Kaloriendefizit möglich ist (mehr dazu hier).

Zusammenfassend lässt sich als Orientierung Folgendes empfehlen:

AusgangssituationKalorienüberschussÜberschuss bei 2000 kcal Erhaltungsbedarf
Anfänger10-20%200-400 kcal
Aufsteiger5-10%100-200 kcal
Fortgeschrittener2,5-5%50-100 kcal
Übergewichtig0%0 kcal (evtl. negativ)

Mit diesen moderaten Werten solltest du optimales Muskelwachstum sicherstellen können, ohne übermäßig Fettmasse aufzubauen (die später wieder mühsam reduziert werden muss).

Quellen

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34623696/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17684207/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5749041/

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6710320/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31405072/

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24699137

https://journals.lww.com/nsca-scj/fulltext/2020/10000/body_recomposition__can_trained_individuals_build.3.aspx

https://peterbond.org/post/energy-surplus-and-muscle-hypertrophy

https://www.strongerbyscience.com/bulking/

https://blog.nasm.org/calorie-surplus-female-athletes-research

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