Je härter du trainierst, desto mehr Erfolge beim Muskelwachstum wirst du sehen – so oder so ähnlich wird es oft behauptet.
Doch stimmt das wirklich so pauschal?
Zahlreiche neuere Studien zeigen, dass das Training bis zum Muskelversagen in Wirklichkeit oftmals nicht notwendig ist und sogar einige Nachteile mit sich bringt.
Ob und wann du bis zum Muskelversagen trainieren solltest – und wann nicht – erfährst du jetzt.
- 1. Was genau ist Muskelversagen überhaupt?
- 2. Ist Muskelversagen notwendig für Muskelaufbau?
- 3. Wann sollte ich bis zum Muskelversagen trainieren?
- 4. Wann sollte ich nicht bis zum Muskelversagen gehen?
- 5. Fazit – Muskelversagen oder nicht?
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1. Was genau ist Muskelversagen überhaupt?
Zuallererst müssen wir natürlich klären, was genau “Muskelversagen” überhaupt ist.
Verschiedene Leute verstehen nämlich unterschiedliche Dinge unter dem Begriff, aber im Wesentlichen gibt es folgende drei Definitionen:
- Totales Muskelversagen: hierbei ist es dir selbst mit schlechter Technik oder mit externer Hilfe nicht mehr möglich, das Gewicht mehr als ein paar Zentimeter zu bewegen.
Diese Art des Trainings ist generell nicht empfehlenswert.
- Technisches Muskelversagen: Hierbei schaffst du keine weitere Wiederholung mehr mit sauberer Technik, sondern nur mit Mühe und “Nachhelfen” durch unsaubere Technik.
- Null Wiederholungen in Reserve: hierbei bist du streng genommen noch nicht beim technischen Muskelversagen angelangt, sondern hörst genau eine Wiederholung vorher auf.
Du hast also 0 Wiederholungen in Reserve (im Englischen auch 0 RIR für “0 Reps in Reserve” genannt).
Darüber hinaus glauben manche, dass sie beim Muskelversagen angelangt seien, weil ihre Muskeln brennen oder sich aufgepumpt anfühlen.
Das kommt vor allem bei hohen Wiederholungsbereichen vor – ist jedoch nicht zwangsläufig tatsächliches Muskelversagen.
Die meisten Leute verstehen deshalb sinnvollerweise entweder technisches Muskelversagen oder Null Wiederholungen in Reserve, wenn sie von Training bis zum Muskelversagen reden – und auch wir nutzen diese Definitionen in diesem Artikel.
Letztendlich sind sich technisches Muskelversagen und 0 Wiederholungen in Reserve sehr ähnlich.
Beide können relativ sicher und ohne erhöhtes Verletzungsrisiko durchgeführt werden, solange du wirklich in dem Moment aufhörst, wenn du beim technischen Muskelversagen angelangt bist.
Beim technischen Muskelversagen hörst du schließlich genau dann auf, wenn deine Technik zu leiden beginnt.
Gleichzeitig kannst du dir sicher sein, dass du wirklich bis zur Muskelerschöpfung gegangen bist.
Bei der 0 Wiederholungen in Reserve Methode ist der Vorteil, dass deine Technik bis zur letzten Wiederholung sauber bleibt.
Der Nachteil ist jedoch, dass es in der Praxis gar nicht so einfach ist, genau zu wissen, wann keine weitere Wiederholung mit guter Technik mehr möglich wäre.
Doch unabhängig davon, für welche der beiden Definitionen du dich entscheidest, stellt sich die entscheidende Frage:
Ist es überhaupt sinnvoll, bis zu diesem Punkt zu trainieren?
2. Ist Muskelversagen notwendig für Muskelaufbau?
Training bis zum Muskelversagen wird nicht selten als die angeblich beste Trainingsmethode für optimales Muskelwachstum angepriesen.
Doch stimmt das tatsächlich? Was ist wirklich wissenschaftlich bewiesen?
Sieht man sich die Studienlage an, so kann man auf den ersten Blick zunächst schnell den Eindruck bekommen, dass sich die verschiedenen Studienergebnisse gegenseitig widersprechen.
Beispielsweise gibt es einige Studien, denen zufolge Training bis zum Muskelversagen für mehr Muskelwachstum sorgt (Martorelli, Goto, Sampson, Nóbrega).
Andere Studien hingegen kommen zu dem Schluss, dass entweder kein signifikanter Unterschied besteht oder sogar mehr Muskelwachstum erreicht wird, wenn du ein paar Wiederholungen vor dem Muskelversagen aufhörst (Karsten, Helms, Carroll, Pareja-Blanco).
Doch wie kann es sein, dass mehrere Studien zu so verschiedenen Ergebnissen kommen?
Und heißt das nun, dass wir nach wie vor nicht schlauer sind als vorher?
Glücklicherweise nicht. Denn wenn man sich all diese Studien genauer ansieht und ihre Ergebnisse analysiert, dann lassen sich die meisten Widersprüche aufklären und einige klare Muster erkennen.
Erstens wurden alle Studien, die stärkeres Wachstum durch Muskelversagen feststellten, mit Anfängern durchgeführt.
Auf der anderen Seite wurden diejenigen Studien, die keinen Vorteil durch Training bis zum Muskelversagen feststellten, mit bereits sehr gut trainierten Menschen durchgeführt.
Zweitens absolvierten die Anfänger-Studien ausschließlich Isolationsübungen für eine Muskelgruppe (z.B. Bizeps).
Die Studien mit den erfahrenen Sportler hingegen machten keine Isolationsübungen, sondern komplexe Ganzkörperübungen.
Weniger Muskelwachstum durch Training bis zum Muskelversagen?
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang diese Studie, in der 14 bereits gut trainierte Sportler ein Bein bis zum Muskelversagen trainierten, während sie bei dem anderen Bein 1 bis 2 Wiederholungen vorher aufhörten.
Die Studie ist erstens deshalb interessant, weil sich die Unterschiede zwischen den Beinen einer Person direkt messen lassen, ohne sonstige Variablen.
Dadurch wird eine Vielzahl möglicher anderer Ursachen ausgeschlossen, die beim Vergleich zwischen mehreren Personen stets dazu kommen.
Zweitens konnten die Teilnehmer exakt einschätzen, wie viele Wiederholungen sie vom Muskelversagen tatsächlich entfernt waren, weil sie zuerst ein Bein direkt bis zum Muskelversagen trainierten und damit ihr Wiederholungsmaximum bereits kannten.
Das Ergebnis der Studie war, dass die Teilnehmer in dem Bein, dass sie nur 1-2 Wiederholungen vor Muskelversagen trainiert hatten, 18,1% Muskelwachstum erreichten.
In dem Bein, dass sie komplett bis zum Muskelversagen trainierten, betrug das Muskelwachstum lediglich 13,5%.
Das sind 34% stärkeres Wachstum in dem Bein, welches nicht bis zum Muskelversagen trainiert wurde.
Weiterhin bemerkenswert an den Ergebnissen dieser Studie ist, dass die Teilnehmer in dem Bein ohne Muskelversagen lediglich 11 Wiederholungen pro Satz machten, und in dem Bein bis zum Muskelversagen durchschnittlich 12 Wiederholungen.
Das heißt, dass das Bein ohne Muskelversagen trotz etwas geringeren Trainingsvolumens dennoch mehr Muskelwachstum erreichte als das andere mit höherem Trainingsvolumen.
Weiterhin wichtig herauszustellen ist die Tatsache, wirklich nur noch sehr wenige Wiederholungen bis zum Muskelversagen in Reserve zu haben.
Denn wenn du zu viele Wiederholungen vom Muskelversagen entfernt bleibst, leidet natürlich auch das Muskelwachstum oder bleibt sogar ganz aus.
Bei der genannten Studie mit dem Beintraining war es präzise möglich, bei einem Bein direkt bis kurz vor (1-2 Wdh.) das Muskelversagen zu gehen, ohne schätzen zu müssen.
3. Wann sollte ich bis zum Muskelversagen trainieren?
Anhand all der Studienergebnisse und der oben beschriebenen Analyse lassen sich ein paar Dinge als grobe Faustregel festhalten:
Erstens sollten Anfänger generell möglichst bis zum Muskelversagen trainieren (außer bei komplexen Ganzkörperübungen), weil sie dadurch nachweislich mehr Muskeln aufbauen.
Das liegt einerseits daran, dass absolute Beginner noch nicht alle ihre motorischen Einheiten und Muskelfasern effektiv nutzen können, was zu einer geringeren mechanischen Belastung der Muskeln führt (Studie).
Außerdem ist es für Anfänger praktisch unmöglich, genau abzuschätzen, wie viele Wiederholungen sie noch in Reserve haben bis zum Muskelversagen.
Studien zeigen nämlich, dass Trainierende regelmäßig unterschätzen, wie viele Wiederholungen sie bis zum Muskelversagen machen können.
Insofern steigt natürlich das Risiko, dass Anfänger viel zu weit vom Muskelversagen entfernt bleiben und damit unterdurchschnittliches (oder gar kein) Muskelwachstum erzielen.
Auf der anderen Seite sollten aber auch Anfänger bei komplexen Ganzkörperübungen wie Kniebeugen, Kreuzheben oder Liegestützen deutlich vor dem Muskelversagen aufhören.
Der Grund dafür ist, dass sie bei diesen Übungen zuerst eine saubere Technik lernen sollten, bevor sie sich mit der Zeit näher bis ans Muskelversagen herantasten können.
Zweitens eignen sich Isolationsübungen mit Kurzhanteln wesentlich besser dafür, bis zum Muskelversagen zu trainieren.
Sie sind selbst am Punkt des Muskelversagens sicher und haben ein sehr geringes Verletzungsrisiko.
Zu guter Letzt scheint Training bis zum Muskelversagen außerdem notwendig zu sein, wenn du in sehr hohen Wiederholungsbereichen trainierst.
Das trifft also auf das Training mit leichten Gewichten sowie auf viele Übungen beim Bodyweight Training zu (mehr dazu hier).
Viele Wiederholungen zu “pumpen” bis die Muskeln brennen, ohne jedoch bis zum Muskelversagen zu gehen, ist bezüglich des Muskelwachstums im Großen und Ganzen Zeitverschwendung.
4. Wann sollte ich nicht bis zum Muskelversagen gehen?
Anhand der Studienlage scheinen bereits erfahrene Kraftsportler nicht bis zum Muskelversagen trainieren zu müssen, insbesondere nicht bei komplexen Ganzkörperübungen (z.B. Kniebeugen oder Kreuzheben).
Indem du 1 bis 3 Wiederholungen in Reserve lässt, stimulierst du nicht nur mindestens genauso viel Wachstum wie beim Training bis zum technischen Muskelversagen.
Auch dein Training wird dadurch sicherer und weist ein geringeres Verletzungsrisiko auf.
Darüber hinaus erholst du dich auch schneller zwischen den Sätzen sowie zwischen den Trainingstagen, was ebenfalls Muskelwachstum und Trainingsleistung fördert.
Demnach benötigt deine Muskulatur 24 bis 48 Stunden länger, um sich vom Training bis zum Muskelversagen zu erholen, als wenn du nur bis kurz vor Muskelversagen trainierst (Studie).
Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Training ohne vollständige Erholung mit der Zeit zur Reduzierung von für das Muskelwachstum wichtigen Hormonen sowie zu Übertraining führen kann (Studie).
Darüber hinaus konnten Studien zeigen, dass Training bis zum Muskelversagen zu erhöhter Erschöpfung sowie zur Reduktion der Wiederholungen in darauffolgenden Sätzen führt.
In der Regel sieht der Unterschied in etwa folgendermaßen aus:
Satz | bis Muskelversagen | 2 Wdh. in Reserve |
---|---|---|
Satz 1 | 10 | 8 |
Satz 2 | 8 | 8 |
Satz 3 | 6 | 8 |
Gesamt | 24 | 24 |
Obwohl du beim Training bis zum Muskelversagen wesentlich erschöpfter bist und länger zur Erholung brauchst, machst du in Summe dennoch nicht mehr Wiederholungen, als wenn du beispielsweise zwei Wiederholungen in Reserve lässt.
Auf der anderen Seite ist natürlich auch klar, dass du nicht zu weit vom Muskelversagen entfernt sein darfst, weil du ansonsten kein Muskelwachstum stimulierst (Studie).
5. Fazit – Muskelversagen oder nicht?
Falls du schon Erfahrung mit Krafttraining hast oder schon gut trainierst bist, solltest du eher nicht bis zum Muskelversagen trainieren.
Stattdessen scheint es vorteilhafter zu sein, wenn du größtenteils zwischen 1 bis 3 Wiederholungen in Reserve behältst.
Dadurch stimulierst du nachweislich mindestens genauso gut Muskelwachstum, ohne jedoch deine Muskeln unnötig zu ermüden und Übertraining zu riskieren.
Dennoch spricht nichts dagegen, ab und zu bis zum Muskelversagen zu trainieren.
Nicht etwa, weil dadurch stärkeres Muskelwachstum stimuliert würde, sondern vor allem, um ab und an dein Gefühl dafür nachzujustieren, wie viele Wiederholungen du tatsächlich noch in Reserve hast.
Abgesehen davon ist das Training bis zum Muskelversagen tendenziell in hohen Wiederholungsbereichen notwendig – also mit leichten Gewichten oder beim Training mit unserem Körpergewicht (mehr dazu hier).
Auf der anderen Seite profitieren Anfänger eher vom Training bis zum Muskelversagen, weil ihre Muskelkoordination noch nicht so gut ausgeprägt ist und sie zudem häufig noch nicht genau abschätzen können, wie viele Wiederholungen sie tatsächlich noch in Reserve haben.
Zu guter Letzt kann es auch bei sehr geringem Trainingsvolumen sinnvoll sein, bis zum Muskelversagen zu trainieren.
Wenn du also beispielsweise nur zweimal pro Woche trainierst und jeweils nur zwei Sätze pro Übung durchführst, bist du damit auf der sicheren Seite, wirklich Muskelwachstum zu stimulieren und hast gleichzeitig genügend Zeit, um dich bis zum nächsten Training ausreichend zu erholen.
Am Ende des Tages gilt: solange du von Trainingseinheit zu Trainingseinheit (oder zumindest von Woche zu Woche) Fortschritte machst – also mehr Wiederholungen bei gleichem Gewicht oder schwerere Gewichte bei gleichen Wiederholungen schaffst – bist du mit deiner Trainingsmethode auf dem richtigen Weg.
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